Ökumene in unserem Talkessel
Gedanken zur Ökumene - Geht hin, Ihr seid gesandt
Wer das Landecker Buch bei der Präsentation der Evangelischen Pfarrgemeinde aufschlägt, wird vielleicht gleich über eine Selbstcharakterisierung stolpern, die die eigene Identität definieren sollte. So habe ich mich beschrieben und so würde ich das auch heute noch tun: „Betrachtet sich als katholischen Christen mit evangelischer Prägung und orthodoxem Faible…“
Ja, was ist er jetzt eigentlich? Viele Menschen haben sich diese Frage gestellt, und die Antwort ist einfach und doch vielschichtig: Ich bin Christ. Ich darf aus dem vollen Reichtum schöpfen, das wird mir heute, am Vorabend des Himmelfahrtsfestes, bewusst: „Geht hin in alle Welt, lehrt alle Völker und tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes und lehrt sie halten alles, was ich euch befohlen habe“. Der Missionsbefehl unseres gemeinsamen Herrn und Bruders Jesus Christus. Und dann noch: „Ich bin bei euch bis an das Ende der Tage!“
Getauft wurde ich als Kind einer ausgebombten Wiener Familie im Salzburgischen Mittersill durch einen aus Siebenbürgen geflohenen evangelischen Dekan. Als Kind bin ich nach der Scheidung der Eltern mehrfach umgezogen; Absam, Judenstein und Zirl waren die nächsten Stationen. Dort haben die Klassenkameraden auch gleich nach den Krickeln auf meiner Stirn gesucht, denn so viel war ihnen klar: „Die Lutherischen kemmen nit in den Himmel, in die Lutherischen wachsen die Horn.“ Es war die Zeit des 2. Vatikanischen Konzils. Der junge Kooperator Franz Lanbach integrierte mich voll, ja, mehr noch: er begeisterte mich. Während der Schülerbeichte verbrachte ich Stunden in der Zirler Pfarrkirche, schaute mir jedes Detail an. Ich nahm sowohl am evangelischen als auch am katholischen Religionsunterricht teil. Das war vom Schulgesetz her zwar verboten, hat mich aber bereichert, hat mich offener werden lassen.
Nachdem meine Mutter wieder geheiratet hatte, übersiedelten wir nach Bozen, wo ich konfirmiert wurde, wo mich Pfarrer Hartmut O.G. Lindenmeyer so weit brachte, dass ich nach der Matura nach Wien ging, um Evangelische Theologie zu studieren. Die trockene Wissenschaft hat mich nicht immer begeistert, hatte ich doch als „Pröpstl“ Lindenmeyers viel Praxiserfahrung gesammelt. Erdung erfuhr ich im Rettungsdienst der Johanniter, Beginn einer langen „Karriere“. „Herr Doktor, Sie haben den Beruf verfehlt, sie hätten Pfarrer werden sollen,“ sagte eine Patientin. Und irgendwann war es soweit: aus dem Student wurde ein Pfarrvikar. Immer durfte ich ökumenische Begleitung und Förderung erfahren: Don Silvio Franch, der Bischofsvikar aus Trient, und Prälat Hans Joachim Schramm aus Innsbruck haben mich sehr geprägt. Ihr vermisst noch meine orthodoxe Komponente? Im Studium in Wien war ich mit dem Priestermönch Gabriel Henning Bultmann befreundet, und auf dem Berg Athos habe ich Vater Panteleimon kennengelernt, war jahrelang mit ihm im Kontakt. Er wär später Abt des Klosters Graboc in Ungarn und ist jetzt dort begraben. Weitere Kontakte gab es mit den Serbisch Orthodoxen, den Griechisch Orthodoxen und Rumänisch Orthodoxen und deren Priester in Innsbruck.
Viele Jahre durfte ich als Mitglied des diözesanen Arbeitskreises für Ökumene in Innsbruck diese Gemeinschaft erfahren und an den Weltgebetsgottesdiensten für die Einheit der Christen im Dom dabei sein. Als ich vor gut 38 Jahren nach Landeck kam, war mir die gelebte Ökumene ein Anliegen. Damals noch gar nicht so sehr im Bewusstsein, allerdings von der action365 propagiert! Gemeinsam haben wir uns immer wieder getroffen, und Anfang 1984 haben wir gemeinsam mit Pfarrer Hermann Lugger einen ökumenischen Gottesdienst vorbereitet. Der „Rasende Reporter“ CHHC, Carl Heinz Callies, stürmte in die Vorbereitungsrunde. Am nächsten Tag gab es ein Foto samt Untertitel in der Tageszeitung: „Sie vertragen sich gut, sie essen schon miteinander Honigbrote…“.
Auch mit der Pfarre Perjen wuchsen die Kontakte. Über die action365 hinaus entstand ein Ökumenischer Gesprächskreis mit Bruder Hermann Gasser, viele Gespräche in einer Aufbruchsstimmung. Altbischof Paulus Rusch war einer der Gäste in dieser Runde. Es entstand analog zu Wien und Ried im Innkreis ein Ökumenischer Stadtkreuzweg, der seit 1984 (mit Coronaunterbrechung) stattfindet und uns singend, betend, schweigend durch den Landecker Talkessel führt. Mit Pater Hermanns Nachfolger, Pater Erich Geir, haben wir die Tradition weitergepflegt. Gepflegt haben wir auch die Tradition der Ökumenischen Wallfahrten und des Pilgerns. Wir waren gemeinsam in Assisi, in Nord- und Südtirol. Organisiert unter anderem von Peter Unterhuber, später Diakon Peter Thaler und dem Team der AJG in Landeck. Seit den Anfangszeiten unter Pfarrer Albert Pichler gibt es monatlich das Ökumenische Taizé-Gebet in Stadtpfarrkirche oder Markuskirche und viele Gottesdienste in den Gemeinden im und um den Talkessel. Im Krankenhaus St. Vinzenz entstand unter Kaplan Martin Riederer ein fruchtbares Miteinander und auch eine tiefe Freundschaft. Pfarrer Benedikt Kössler folgte auf Pfarrer Albert Pichler. Viel Ökumene wurde weiter gepflegt, darunter die Ökumenische Friedhofsfeier zu Allerheiligen. Mit Martin Riederer haben wir auch versucht, Menschen nach der Lawinenkatastrophe von Galtür zu helfen; der damalige Dekan Erich Geir, Pfarrer Andreas Tausch und viele andere haben die Ärmel mit aufgekrempelt. Letztlich ist daraus die Ökumenische Notfallseelsorge Tiroler Oberland entstanden, das Kriseninterventionsteam des Landecker Roten Kreuzes. Unter Dekan Martin Komarek kamen dann noch die Ökumenischen Aschermittwochfeiern dazu.
Die Menschen kommen, die Menschen gehen. Viele, die mit mir die Ökumene prägten, sind verstorben oder können aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr dabei sein. Aber alle haben wir die Bitte des Herrn erfüllt „auf dass alle eins seien…“, haben getan, was der Herr vor der Auffahrt in den Himmel gesagt hat: „Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Und siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ Er ist immer bei uns, mitten unter uns!
Pfr. Richard Rotter - evangelische Pfarre Landeck